Der Landkreis Main-Spessart stellt eine mobile induktive Höranlage leihweise zur Verfügung

Unter Schwerhörigkeit leiden immer mehr Menschen. Betroffene wissen, wie Verständnisprobleme die Teilhabe am öffentlichen Leben einschränken und wie sehr das Alltagsleben dadurch erschwert wird. Dabei können beispielsweise öffentliche Gebäude und Veranstaltungsräume mit geringem, technischem Aufwand so nachgebessert werden, dass Schwerhörige und Guthörende gleichermaßen davon profitieren.

Der Landkreis Main-Spessart geht nun mit gutem Beispiel voran und hat eine mobile induktive Phonak-Höranlage erworben. Angeschafft wurde die Anlage auf Initiative der Behindertenbeauftragten des Landkreises Elena Reinhard. Beratend unterstützt wurde sie von Manfred Hartmann, dem Vorsitzenden des „Bezirksverband Unterfranken der Schwerhörigenvereine und Selbsthilfegruppen" und Gruppenleiter der Selbsthilfegruppen für Schwerhörige in Karlstadt und Lohr.

Auf Initiative des Schwerhörigenselbsthilfeverbandes wurden in den letzten Jahren bereits bei verschiedenen kommunalen und kirchlichen Einrichtungen im Landkreis fest installierte induktive Höranlagen für Hörgeräteträger eingerichtet. So z.B. in der „Alten Turnhalle" und in der „Stadthalle" in Lohr, in Karlstadt im „Historischen Rathaus", in Marktheidenfeld im Sitzungssaal des Rathauses und in der im April 2018 eröffneten „Neuen Bibliothek". Zudem wurde bereits 2015 mit Hilfe des Lions-Club und der Sparkassenstiftung eine mobile induktive Höranlage für das Selbsthilfebüro beim BRK-Kreisverband Main-Spessart angeschafft.

Mit der nun vom Landkreis erworbenen mobilen induktiven Höranlage können nicht nur große Räume und Säle in der Kommunikation barrierefrei gestaltet werden, die Anlage eignet sich auch bestens für Einzel- und Gruppengespräche mit einem Hörbehinderten, z.B. bei einem Beratungsgespräch bei der Behörde.

Wie beurteilen Landrat Thomas Schiebel, die Behindertenbeauftragte Elena Reinhard und der Vorsitzende der Schwerhörigenvereine Manfred Hartmann die neue Höranlage? Wir haben nachgefragt:

Was möchte der Landkreis mit dem Verleih der Höranlage bezwecken?
Landrat Thomas Schiebel:
Mit der Anlage möchten wir beispielhaft vorangehen, und ein Signal für die Belange von Menschen mit einer Schwerhörigkeit und für die Notwendigkeit von induktiven Höranlagen setzen. Darüber hinaus möchten wir mit der Anlage den Vertreter/Innen in den Kommunen des Landkreises ein Instrument an die Hand geben, um speziell Menschen mit Hörbehinderungen Barrierefreiheit und gleichberechtigte Teilhabe (auch mobil) zu ermöglichen.

Warum ist eine mobile Höranlage notwendig?
Elena Reinhard:
Induktive Höranlagen haben für Schwerhörige die gleiche Bedeutung wie die Rampe für den Rollstuhlfahrer. Schlechte Raumakustik, Nebengeräusche und die Entfernung zum Sprecher führen dazu, dass das gesprochene Wort nicht verstanden wird. Hörsysteme verstärken nicht nur Sprache, sondern auch Hall- und Störgeräusche, wodurch das Verstehen massiv behindert werden kann. Höranlagen hingegen ermöglichen drahtlosen Empfang entweder direkt im Hörgerät, im Cochlea-Implantat oder im Kopfhörer - und das ohne Störgeräusche. So kann auch der Guthörende von dieser Technik, der Verbesserung der Raumakustik, profitieren.

Warum ist eine mobile Höranlage sinnvoll?
Manfred Hartmann:
Wie sich das Hören mit der Höranlage anhört, ist für Normalhörende schwer nachvollziehbar. Seit meiner frühen Kindheit trage ich beidseitig Hörgeräte. Bereits in meiner Jugendzeit musste ich feststellen, dass das Sprachverständnis trotz dieser Hilfe sehr beeinträchtigt blieb. Bei Führungen in Museen, aber auch bei großen Veranstaltungen mit vielen Nebengeräuschen ist das gesprochene Wort für jemanden wie mich schwer aufzunehmen. Mit einer zusätzlichen Höranlage hingegen kann ich alles verstehen. Es ist so, als spräche der Referent direkt in mein Ohr.
Vor 50 Jahren gab es noch keine Schwerhörigenorganisation, die dafür Sorge trug, dass induktive Höranlagen im öffentlichen Raum eine „Barrierefreiheit in der Kommunikation" garantierten. Im Laufe der Zeit wurde der Wunsch immer stärker, hier eine Verbesserung zu schaffen, weshalb ich mich entschloss, ehrenamtlich tätig zu werden und eine Schwerhörigenorganisation in Bayern und Unterfranken aufzubauen. Durch diese jahrelange Tätigkeit und Öffentlichkeitsarbeit ist zwischenzeitlich das Verständnis der Gesellschaft und der Entscheidungsträger im öffentlichen Raum für die Probleme der Schwerhörigen derart gestiegen, dass nun durch die in den o.g. Einrichtungen aufgeführten induktiven Höranlagen bereits eine wesentliche Verbesserung der Kommunikationsmöglichkeiten für schwerhörige Menschen entstanden ist. Trotzdem ist es noch immer ein weiter Weg bis man von einer flächendeckenden Versorgung mit einer barrierefreien Kommunikation sprechen kann.
Dies ist insbesondere auch durch die hohe Anzahl von schwerhörigen Menschen bedingt. Es gibt wissenschaftliche Untersuchungen der Universität Witten- Herdecke aus dem Jahr 2000, die davon ausgehen, dass 19 % der Bevölkerung einen Hörschaden hat, Tendenz steigend. Mit zunehmendem Alter nimmt der prozentuale Anteil der Hörgeschädigten zu. Während es bei den 14- bis 19jährigen nur ein Prozent sind, liegt der Anteil bei den 60- bis 69jährigen bereits bei 37 Prozent, bei einem Alter von 70 Jahren und mehr steigt dieser sogar auf 54 Prozent.

Wie viele hörgeschädigte Menschen leben im Landkreis Main-Spessart?
Manfred Hartmann:
Auf die Bevölkerungszahlen des Landkreises Main-Spessart mit 126.39 Einwohnern (Stand 30.06.2017) umgerechnet, leben hier rund 24.000 schwerhörige Menschen. Die Hälfte davon (12.000) sind mittel- bis hochgradig schwerhörig und auf hochwertige Hörgeräte angewiesen. Diese Menschen benötigen zusätzliche Hilfsmittel, insbesondere induktive Höranlagen und eine spezielle Beratung. Andernfalls sind diese stigmatisiert und von der Gesellschaft ausgegrenzt.

Was ist induktives Hören genau?
Manfred Hartmann:
Hörgeräte und Cochlea-Implantate (Ci) können einen bestehenden Hörverlust nicht vollständig ausgleichen. Hintergrundgeräusche und Verzerrung der Sprache durch das Mikrofon der Lautsprecheranlage erschweren das Sprachverstehen zusätzlich. Bei induktiven Höranlagen wird Sprache oder Musik, aufgenommen von einem Mikrofon, durch einen speziellen Verstärker aufbereitet und als elektromagnetisches Signal an ein Kabel (Ringschleife, Induktionsschleife) weitergeleitet. Diese Signale werden von der Induktionsspule (Telefonspule) des Hörgerätes empfangen und wieder in akustische Signale umgewandelt. Der Schwerhörige hört über sein Hörgerät oder Ci bei der Schalterstellung „T" oder „MT" oder dem „Induktionsprogramm" seines Hörgerätes das Gesprochene in unverzerrter HiFi-Qualität und in optimaler Lautstärke. Sämtliche Stör- und Nebengeräusche werden ausgeschaltet. Der Schwerhörige hört die Sprache unmittelbar und deutlich im Ohr. Es ist auch möglich, dass der Akustiker die „Induktionsfunktion" des Hörgerätes so einstellt, dass es im „Mischbetrieb" funktioniert, d.h. man hört induktiv und gleichzeitig gehen die Nebengeräusche nicht verloren. (Vorteil: keine eingeschränkte Wahrnehmung der Umgebungsgeräusche).

Wie wurde die Anlage angeschafft und wie hoch sind die Kosten?
Elena Reinhard:
Es wurden mehrere Angebote eingeholt und miteinander verglichen. Eine vor Ort–Beratung wurde in Anwesenheit von Herrn Hartmann und der Geschäftsleitung des Landratsamtes im Kino in Karlstadt vorgenommen. Die Entscheidung fiel auf diese Anlage, weil die Funktionen so vielfältig sind und somit viele Nutzungsmöglichkeiten gegeben sind. Die Kosten belaufen sich auf 7.978,74 €, inklusive Transportkoffer. Aus haushaltstechnischen Gründen konnte die Anlage in diesem Jahr nur zum Teil angeschafft werden. Momentan ist die Anlage auf fünf Personen ausgelegt. Im nächsten Jahr wird eine Aufstockung auf zehn Personen erfolgen. Hierzu müssen noch Empfänger und ein Teilnehmermikrofon angeschafft werden.

Wird die Anlage bereits genutzt?
Landrat Thomas Schiebel:
Ja, die Anlage kam schon zum Einsatz, zum Beispiel bei den Veranstaltungen unserer Behinderten-, Senioren- und Gleichstellungsbeauftragten, im Rahmen der Kinoveranstaltungen „Agenda 21 Kino" und so weiter. Die Einladungen und Flyer werden mit dem entsprechenden Symbol für die Nutzung einer induktiven Höranlage versehen.

Was denken Sie können die weiteren Nutzungsmöglichkeiten bzw. Einsatzmöglichkeiten sein?
Landrat Thomas Schiebel:
Die Anlage wird den Vertretern der Kommunen leihweise zur Verfügung gestellt. Diese können die Anlage bei ihren Veranstaltungen vor Ort einsetzen. Zum Beispiel bei Bürgerversammlungen, Gemeinderatssitzungen und dergleichen. Ein weiterer möglicher Einsatz wäre auch bei den Touristikinformationszentren für Führungen, hier profitieren alle Teilnehmer durch den individuellen Einsatz von Kopfhörern oder Empfängern. Weiterhin ist die Nutzung im Landratsamt im täglichen Parteiverkehr und bei den Sitzungen vom Kreistag angedacht. Aus Gründen der Planung, ist eine Vorabanmeldung erforderlich. Das System ermöglicht auch die individuelle Dolmetscherfunktion. Es ist in Gruppen- und Einzelgesprächen nutzbar.

Wie und wo kann die Anlage geliehen werden?
Elena Reinhard:
Die Anlage kann kostenlos bei mir ausgeliehen werden. Es fällt lediglich eine Kaution an. Der Verleih wird durch einen Leihvertrag zwischen dem Landkreis Main-Spessart und dem Leihnehmer festgehalten. Der Leihnehmer erhält eine Einweisung und Gebrauchsanleitung zur Anlage. Sie ist leicht zu bedienen und bedarf über kein großes technisches Verständnis.

18-09-26 Foto Höranlage 2,
Foto (Marina Wittmann) v.l.n.r.: Der Landkreis Main-Spessart verfügt seit kurzem über eine induktive Höranlage. Manfred Hartmann (Gruppenleiter der Selbsthilfegruppen für Schwerhörige in Karlstadt und Lohr und Vorsitzender des Bezirksverbandes der Schwerhörigenvereine Unterfranken), Elena Reinhard (Behindertenbeauftragte des Landkreises Main-Spessart) und Landrat Thomas Schiebel hoffen, dass das Angebot gut angenommen wird. Mit diesem Symbol wird auf die mögliche Nutzung einer induktiven Höranlage hingewiesen.